Skulptur in Mitteldeutschland

Spätgotik bis Frühbarock

Stein­metz, Bau- und Werk­meis­ter, geb. um 1490/1500 Komotau, gest. 1541 Gotha
 
Biogramm
Andreas Günther gilt als einer der bedeu­tends­ten Bau­meis­ter der Refor­ma­ti­ons­zeit in Mit­tel­deutsch­land und Nord­böh­men und als einer der Weg­be­rei­ter der Früh­re­nais­sance­ar­chi­tek­tur. Als Stein­metz hin­ter­ließ er mit den Reli­ef­ta­feln in Bern­burg auch einige bemer­kens­werte Bildhauerarbeiten.
Der Gothaer Archi­var Fried­rich Rudol­phi erwähnte 1717 erst­mals den Bau­meis­ter Andreas Günther im Zusam­men­hang mit der Festung Grim­men­stein. Bis in die 1930er Jahre wurde er dann vor allem quel­len­kund­lich erforscht. Paul Redlich konnte 1900 den Bau­meis­ter mit der Stadt Halle und Kar­di­nal Albrecht von Bran­den­burg in Ver­bin­dung bringen. Ludwig Grote wies 1929/30 in zwei Bei­trä­gen Gün­thers Mit­wir­ken am Schloss Bern­burg und am „Kühlen Brunnen“ in Halle nach und setzte sich mit der Selbstbildnis-Relieftafel in Bern­burg aus­ein­an­der. 1936 folgte durch die Dis­ser­ta­tion von Rolf Hüni­cken die bis dahin aus­führ­lichste Aus­ein­an­der­set­zung mit Günther. Die nach­fol­gende For­schung beschäf­tigte sich inten­siv mit Gün­thers Renais­sance­mo­ti­ven – genannt sei Eyvind Unner­bäcks 1971 publi­zierte Klas­si­fi­zie­rung ver­schie­de­ner Gie­bel­ty­pen. Nach wei­te­ren For­schungs­ar­bei­ten, u. a. zu den Glauch­auer Schlös­sern durch Wolf-Dieter Röber, erschien 2011 schließ­lich mit der von Anke Neu­ge­bauer vor­ge­leg­ten Dis­ser­ta­tion „Andreas Günther von Komotau“ die umfas­sendste Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Meister (zum For­schungs­stand vgl. aus­führ­lich Neu­ge­bauer 2011, S. 11–22).

Das Geburts­jahr von Andreas Günther lässt sich aus­ge­hend von den über­lie­fer­ten Aus­bil­dungs­zei­ten mit­tel­al­ter­li­cher Stein­metze und seiner ersten Nennung als Meister 1523 in den Zeit­raum zwi­schen 1490 und 1500 ein­gren­zen. Die Bern­bur­ger Reli­ef­ta­fel nennt inschrift­lich seinen Geburts­ort Komotau in Nord­böh­men. Hier ent­stammt er womög­lich einer um 1500 in und bei Komotau ansäs­si­gen ange­se­he­nen Hand­wer­ker­fa­mi­lie, welcher auch der Stein­metz und Bau­meis­ter Hans Günther ange­hörte (Neu­ge­bauer 2011, S. 181f). Erst­mals urkund­lich nach­wei­sen lässt sich Günther bei Um- und Neu­bau­ar­bei­ten der Chem­nit­zer Bene­dik­ti­ner­klos­ter­kir­che 1523–1525 sowie mit dem Bau der ersten stei­ner­nen Brücke über die Zwi­ckauer Mulde in Glauchau im Dienst der Herren von Schön­burg. Zu einem unbe­kann­ten Zeit­punkt erwarb er das Bür­ger­recht der Stadt Glauchau, ein staat­li­ches Wohn­haus am Markt und weitere Lie­gen­schaf­ten (Vgl. Neu­ge­bauer 2011, S. 183f).
Von 1525 bis 1532 leitete Günther den Um- und Neubau der Schön­bur­ger Resi­den­zen Hin­terg­lauchau und For­derg­lauchau. Erst­mals nach­weis­bar ist hier der von Eyvind Unner­bäck so bezeich­nete „Glauchau-Typ“ des Wel­schen Giebels, eine mar­kante Erfin­dung Gün­thers. Es folgten weitere Bauten für Ernst II. von Schön­burg. Der Ein­sturz der Mul­de­brü­cke durch das Hoch­was­ser 1529 führte für Andreas Günther zu einem fol­gen­schwe­ren Prozess mit dem Rat von Glauchau.
Vor März 1532 über­nahm Günther einen Bau­auf­trag für die Herren von Bünau in Droyßig. Ver­mu­tet wird der Neubau des sog. Unteren Hauses. Außer­dem ent­stand bis 1535 unter Gün­thers Leitung unweit von Droyßig die Aue­brü­cke in Zeitz.
Im selben Zeit­raum wurde Günther in Halle sehr wahr­schein­lich für den Kauf­mann und erz­bi­schöf­li­chen Beamten Hans von Sche­nitz tätig, an dessen Stadt­re­si­denz, dem Haus „Zum Kühlen Brunnen“, typi­sche Gestal­tungs­ele­mente des Bau­meis­ters fest­ge­stellt werden konnten (vgl. Neu­ge­bauer 2011, S. 83–85). Mit der Bestal­lung zum erz­bi­schöf­li­chen Land­werk­meis­ter in den Stiften Mainz, Mag­de­burg und Hal­ber­stadt durch den Kar­di­nal­erz­bi­schof Albrecht von Bran­den­burg am 5. Mai 1533 gelangte er in eines der höchs­ten Bau­äm­ter seiner Zeit. Seine vor­über­ge­hende Inhaf­tie­rung im Zuge des Glauch­auer Brü­cken­pro­zes­ses behin­der­ten Gün­thers Arbei­ten am Graben der Moritz­burg in Halle, welche dann 1536 nach neu­zeit­li­chen Vor­stel­lun­gen zum Fes­tungs­bau voll­endet wurden.
Im glei­chen Jahr über­nahm er die Errich­tung des ‚Neuen Gebäu­des‘ in Halle, einem „Initi­al­bau der mit­tel­deut­schen Früh­re­nais­sance“. Im Zusam­men­hang mit dem Erwerb des hal­le­schen Bür­ger­rechts am 4. Sep­tem­ber 1533 steht der Ankauf eines Hauses in der Großen Ulrich­straße in Halle, das Günther reprä­sen­ta­tiv umbauen ließ (Neu­ge­bauer 2011, S. 89 u. 185).
Als letzte Arbeit entwarf Günther 1536 das West­por­tal des Hal­len­ser Domes, bevor er am 24. Mai 1537 aus dem erz­bi­schöf­li­chen Dienst ent­las­sen wurde. Die Ent­las­sung stand im Zusam­men­hang mit dem Schwur einer Urfehde, deren Anlass unbe­kannt ist. Anke Neu­ge­bauer (2011, S. 180f) ver­mu­tete als Grund einen Kon­flikt mit Kar­di­nal Albrecht, viel­leicht im Zusam­men­hang mit der Hin­rich­tung des Hans von Sche­nitz. Auch wandte sich Günther in diesem Zeit­raum ver­mut­lich der pro­tes­tan­ti­schen Kon­fes­sion zu.

1537 lie­ferte Günther Visie­run­gen für den Mari­en­ber­ger Rat­haus­neu­bau. Im April 1538 gelangte er an den Hof des Fürsten Wolf­gang von Anhalt-Köthen und rea­li­sierte den Wolf­gang­bau des Schlos­ses Bern­burg, mit dem der Umbau von der Burg zum Renais­sance­schloss begann. Auf Fern­wir­kung bedacht, ließ Günther hier an der Süd­seite acht Reli­ef­ta­feln mit Bild­nis­ses Kaiser Karls V. und pro­tes­tan­ti­scher Fürsten so anord­nen, als schau­ten sie aus von Pfei­lern und Rund­bo­gen gerahm­ten Fens­tern heraus (Neu­ge­bauer 2011, S.131). Auf der Süd­seite des Lauf­gangs stellte sich Günther in einem Reli­ef­feld des Brüs­tungs­ge­län­ders in einer alle­go­ri­schen Szene selbst dar. Die neu­ar­tige Dar­stel­lungs­form geht unter anderem auf die Ver­sil­lus­tra­tion „Die Christ­li­che Geduld“ von Hans Sachs zurück. Sie enthält ein Luther­zi­tat und ist ein ein­deu­ti­ges Bekennt­nis des Meis­ters zum Pro­tes­tan­tis­mus.
Nach der Fer­tig­stel­lung des Wolf­gang­baus im Sep­tem­ber 1539 trat Günther am 30. Dezem­ber 1539 in den Dienst der Grafen von Stolberg-Wernigerode. Hier fer­tigte er Visie­run­gen und Risse für den Umbau des Stol­ber­ger Schlos­ses an. Gleich­zei­tig entwarf Günther ab Februar 1540 für die Des­sauer Mari­en­kir­che ein Gewölbe, das später durch den Bau­meis­ter Ludwig Binder im Auftrag Gün­thers aus­ge­führt wurde. Noch 1540 erfolgte Gün­thers Umzug nach Torgau, der Neubau eines Wohn­hau­ses in der Leip­zi­ger Straße und seine Bestal­lung zum Bau­meis­ter. Ob Günther in Torgau am Umbau des Schlos­ses Har­ten­fels mit­wirkte, lässt sich nicht erschlie­ßen (Neu­ge­bauer 2011, S. 147, 168 u. 187).

Ab Dezem­ber 1540 wird Günther als Bau­meis­ter der kur­fürst­li­chen Festung Grim­men­stein in Gotha her­an­ge­zo­gen. Als Nach­fol­ger von Konrad Krebs gelangt er schließ­lich am 8. März 1541 erneut in die Posi­tion eines lan­des­fürst­li­chen Werk­meis­ters des Kur­fürs­ten Johann Fried­rich von Sachsen. Günther war damit für alle Bau­maß­nah­men in den ernes­ti­ni­schen Landen zustän­dig. Er fer­tigte Gut­ach­ten an, rekru­tierte Hand­wer­ker und beauf­tragte Instand­set­zungs­ar­bei­ten. Sieben Monate später ver­un­glückte er tödlich auf der Festung Grim­men­stein in Gotha durch einen Sturz vom Gerüst (Neu­ge­bauer 2011, S. 167, 174 u. 187 f). Das genaue Todes­da­tum ist unbe­kannt, die Todes­nach­richt an den Kur­fürs­ten datiert auf den 24. Sep­tem­ber 1541.
Gün­thers archi­tek­to­ni­sche Motive, allen voran der Wel­schen Giebel und die viel­fach rezi­pier­ten Por­tal­lö­sun­gen prägen die Archi­tek­tur der Früh­re­nais­sance in Mit­tel­deutsch­land. Die neu­ar­tige, reprä­sen­ta­tive Fas­sa­den­ar­chi­tek­tur mit Erkern und Rund­tür­men an der West­seite des Wolf­gang­baus in Bern­burg wurde prägend für die mit­tel­deut­schen Schloss­ar­chi­tek­tur. Seine dort ange­brach­ten Reli­ef­ta­feln beinhal­te­ten bereits den Grund­ge­dan­ken vor­ba­ro­cker Selbst­ver­herr­li­chung und gehören zu den frühs­ten pro­fa­nen Herr­scher­denk­mä­lern der Zeit. Sein Selbst­por­trät ist ein Zeugnis der kon­fes­sio­nel­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Zeit und im mit­tel­deut­schen Raum völlig singulär.

Werke

BERNBURG

  • Neubau „Wolf­gang­bau“, mit zuge­hö­ri­gen Reli­ef­ta­feln, 1538–1539 (Selbst­bild­nis und Inschrift)

CHEMNITZ

  • Um- und Neubau der Bene­dik­ti­ner­klos­ter­kir­che, 1523–1525 (Meis­ter­zei­chen)

DESSAU

  • Visie­rung der Wölbung der Des­sauer Mari­en­kir­che, 1540

DRESDEN

  • Umbau Schön­bur­ger Stadt­haus, Ecke Schloß­straße und Große Brü­der­gasse), 1525–1532 (?) (Zuschrei­bung)

DROYßIG

  • Bau­maß­nah­men am Unteren Haus, 1532–1538(?) (Zuschrei­bung)

GLAUCHAU

  • Mul­de­brü­cke, 1525
    Umbau Schloss Hin­terg­lauchau, 1525–1532/33
  • Neubau Schloss For­derg­lauchau, 1525–1532/33
  • Neubau Schloss Wal­den­burg (Zuschrei­bung)

GOTHA

  • Umbau der Festung Grim­men­stein, 1540–1541

HALLE

  • Nordhof des Bür­ger­hau­ses “Kühler Brunnen” — Saalbau, Arka­den­bau, Torhaus, 1532?–1534
  • Ausbau Moritz­burg­gra­ben, 1533–1536
  • Neubau “Neues Gebäude”, 1533–1537
  • Umbau des Bür­ger­hau­ses in der Großen Ulrich­straße 58, ab 1533 (Zuschrei­bung)
  • Glo­cken­turm auf Dom­platz, 1534/35–1536 (Zuschrei­bung)
  • West­por­tal im Hal­len­ser Dom, 1536 (Meis­ter­zei­chen)

MARIENBERG

  • Visie­rung des Mari­en­ber­ger Rat­haus­neu­baus, 1537

STOLBERG

  • Visie­rung des Umbaus des Stol­ber­ger Schlos­ses, 1539–?

TORGAU

  • Wie­der­auf­bau eines Bür­ger­hau­ses in der Leip­zi­ger Straße 19, 1540–1541
  • Umbau des Schlos­ses Har­ten­fels, 1540–1541 (?) (Zuschrei­bung)

ZEITZ

  • Aue­brü­cke, 1532–1535
Bibliographie

Grote 1929 | Ludwig Grote: Andreas Günther, der Bau­meis­ter des Schlos­ses in Bern­burg, in: Mon­tags­blatt. Wis­sen­schaft­li­che Beilage der Mag­de­bur­gi­schen Zeitung, Nr. 47 vom 25. Novem­ber 1929.

Grote 1930 | Ludwig Grote: Näheres über den anhal­ti­schen Bau­meis­ter Andreas Günther, in: Mon­tags­blatt. Wis­sen­schaft­li­che Beilage der Mag­de­bur­gi­schen Zeitung, Nr. 21 vom 26. Mai 1930.

Neu­ge­bauer 2008 | Anke Neu­ge­bauer: “Andres Gvnter von Kometav. Ein Werk­zevg Esv Christi”: Das ver­ges­sene Bau­meis­ter­bild­nis vom Bern­bur­ger Wolf­gang­bau, in: Das Bern­bur­ger Schloss — aktu­elle bau- und kunst­his­to­ri­sche Erkennt­nisse (=Bei­träge zur Regional- und Lan­des­kul­tur Sachsen-Anhalts 47), Halle/Saale 1995, S. 65–82.

Neu­ge­bauer 2011 | Anke Neu­ge­bauer: Andreas Günther von Komotau: ein Bau­meis­ter an der Wende zur Neuzeit (=Hal­le­sche Bei­träge zur Kunst­ge­schichte 11), Phil. Diss., Bie­le­feld 2011.

Neu­ge­bauer 2015 | Anke Neu­ge­bauer: Andreas Günther von Komotau — Land­bau­meis­ter im Dienst von Kar­di­nal und Kur­fürst, in: Markéta Prontekerová/ Renáta Gubí­ková (Hrsg.), Josef Opitz und die Kunst im Komo­tauer und Kaa­de­ner Land 1350–1590, Chom­utov, S. 315–344.

Neu­ge­bauer 2019 | Anke Neu­ge­bauer: Der Wolf­gang­bau des Bern­bur­ger Schlos­ses: Zum Stand der For­schung, in: Leon­hard Helten/ Anke Neugebauer/ Uwe Schirmer (Hrsg.): Mit­tel­deut­sche Resi­den­zen. Neuere For­schun­gen (Junges Forum LEUCOREA I), Halle 2019, S. 37–60.

Röber 1981 | Wolf-Dieter Röber: Unbe­kannte Ansich­ten von Schlös­sern und Vor­wer­ken auf einem schön­bur­gi­schen Stamm­baum, in: Museum und Kunst­samm­lung Schloss Hin­terg­lauchau, Heft 3, S. 15–40.

Röber 1992 | Wolf-Dieter Röber: Das schön­bur­gi­sche Schloß Vor­derg­lauchau und sein Bau­meis­ter Andreas Günther, in: Wis­sen­schaft­li­che Zeit­schrift der MLU Halle-Wittenberg, Geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Reihe, 41/5, S. 57–63.

Roch 1995 | Irene Roch: Die Bild­nis­re­li­efs am Wolf­gang­bau des Schlos­ses Bernburg/Saale — ein Beitrag zur pro­tes­tan­ti­schen Herr­schafts­iko­no­gra­phie, in: Thomas Trajkovits/ Ute Reupert/ Win­fried Werner (Hrsg.), Denk­mal­kunde und Denk­mal­pflege. Wissen und Wirken (Fest­schrift für Hein­rich Magi­rius zum 60. Geburts­tag am 1. Februar 1994), Dresden, S. 323–330.

Roch-Lemmer 2003 | Irene Roch-Lemmer: Die Fürs­ten­bild­nisse am Wolf­gang­bau des anhal­ti­schen Schlos­ses Bern­burg, in: Werner Freitag/ Michael Hecht (Hrsg.), Die Fürsten von Anhalt. Herr­schafts­sym­bo­lik, dynas­ti­sche Ver­nunft und poli­ti­sche Kon­zepte des Spät­mit­tel­al­ters und Früher Neuzeit, Halle, S. 144–159.

Schub­art 1939 | Werner Schub­art: Bild­werke der Renais­sance in Bern­burg und Heck­lin­gen, in: Bern­bur­ger Kalen­der 1939, S. 117–133.

Autor: 

Heinz Philipp Emba­cher (2021)


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