Skulptur in MitteldeutschlandSpätgotik bis Frühbarock
Im Laufe der Epochen entwickelten sich neue Gestaltungsmuster und Schmuckelemente für den Altaraufbau. So wurden beispielsweise in der Romanik Bilder durch Reliefs ergänzt, während sie in der Gotik in einem gemeinsamen Rahmen gefasst wurden. Seit dem 15. Jahrhundert findet sich auf vielen Retabeln ein schmückender architektonischer Aufsatz, Gesprenge genannt. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert wurde die Gestaltung der Retabel als ein Hauptschmuck des Kirchenraumes zunehmend prunkvoller. Im Klassizismus kehrte man zu den strengeren Formen zurück.
Gesamtaufbau
Predella
1 Predella mit Heiligenbüsten unter Schleierwerk | 2 Predella mit szenischen Darstellungen und seitlichen Anschwüngen | 3 Predellenkasten mit klappbaren Seitenflügeln und geschweiften Zwickelkonsolen | 4 Predella mit zwei Schiebeflügeln | 5 Predellenschrein/Sockelschrein mit klappbaren Seitenflügeln | 6 Predella mit Madonnenfigur und einem Schiebeflügel | 7 Predella mit Abendmahlsrelief
Die Predella ist ein Sockel, auf dem der Hauptkörper des Altars, das Retabel, steht. Im Kontrast zur häufig quadratischen Mensa hat die Predella oftmals abgerundete Verbindungsstücke, die zwischen der Breite der Mensa und des Schreins vermitteln. Um die Wirkung einer stabilen Basis zu erzielen, ordnet sich die Höhe der Predella jener der Mensa unter. Sie beträgt durchschnittlich ein Drittel der Schreinhöhe. Ausgeschmückt sind sie meist mit gemalten oder skulptierten Heiligenbildern oder Szenen aus dem Leben Jesu.
Schrein und Flügel
Das Herzstück eines Altarretabels bilden der Schrein und dessen Flügel. Sehr oft nimmt der Schrein spätgotischer Retabel eine Mariendarstellung auf; häufig werden im mitteleuropäischen Raum auch Darstellungen der Heiligen Anna oder Johannes des Täufers gezeigt. In Ergänzung sind die oftmals horizontal geteilten Flügel meist mit Heiligenfiguren oder Szenen aus der Passionsgeschichte ausgestattet. Über den Figuren befinden sich partiell Baldachinzonen. Die Reliefs werden mitunter über Maßwerksockeln angeordnet und sehr häufig von Schleierbrettern bzw. Schleierwerk oder Maßwerk nach oben abgeschlossen. Einzelfiguren stehen meist auf Grasnarbensockeln oder polygonal gebrochenen Podesten.
Flügelklappungen
1 Alltagsseite / Werktagsseite I 2 Festtagsseiten / Sonntagsseite I 3 Zweite Festtagsseite
Die verschiedenen Flügelklappungen, auch als „Wandlungen“ bezeichnet, erzeugen ein variables Bildprogramm, indem sie Heiligenbilder und Reliquien ver- und enthüllen. An einfachen Werktagen blieb der Altar geschlossen. An hohen Festtagen entfaltete der geöffnete Schrein seine ganze Pracht
Wandelaltartypen
1 nicht wandelbar (ohne Flügel) | 2 Diptychon | 3 Triptychon
Gesprenge
1 dreigeschossiges Astwerkgesprenge mit Madonna zwischen zwei hl. Königinnen, darüber Schmerzensmann und Auferstandener | 2 dreigeschossiges Astwerkgesprenge mit Kreuzigungsgruppe und Heiligenfiguren | 3 Gesprenge mit aufragenden Fialen, Maß- und Astschleierwerk, davor Kreuzigungsgruppe, seitlich kleinere Assistenzfiguren
Als Gesprenge wird ein schmückender Aufsatz über dem Retabel bezeichnet. Häufig bestehen spätgotische Gesprenge aus Fialen, Maßwerk oder Astwerk in Verbindung mit Figuren Christi, der Madonna und verschiedener Heiliger. Diese Figuren können sich thematisch auf die Hauptdarstellungen des Altars im Schreinbereich beziehen. Die verschiedenen Gesprengearten können begrifflich als Maßwerk‑, Astwerk- und Knorpelwerkgesprenge kategorisiert werden. Das Maßwerkgesprenge besteht typischerweise aus sich wiederholenden Formen, unterbrochen von senkrecht aufragenden, mit Krabben gespickten Fialen. Das Astwerk hat organische, gewundene Formen und ist ebenfalls mit Krabben besetzt. Die relativ seltenen, nach 1600 entstandenen Knorpelwerkgesprenge prägen knorpelige, teigige, schwellende Formen. Das Gesprenge kann ebenso lediglich aus aufgesetzten Einzelfiguren bestehen oder gänzlich fehlen.
Säulenretabel
1 Ädikula-Altar mit zentralem Triumphbogen, Seitenarkaden, Aufsatzgeschoss und Bekrönung (Attikazone, Auszug) (um 1600) | 2 Ädikula-Altar mit überstehenden Seitenflügeln (um 1650) | 3 zweiachsiger, doppelgeschossiger Barockaltar mit Mehrfach-Säulenstellung und gesprengten Giebeln
Ausgehend von Italien verbreitete sich seit dem 16. Jahrhundert ein neuer Retabeltypus, dessen Grundform das sogenannte Ädikula-Schema bildet, eine von Säulen flankierte Nische mit Gesims und Aufsatz. Dieses Grundschema wurde häufig durch Seitenachsen und ein zweites Geschoss erweitert. Die Predella des spätgotischen Flügelaltars blieb dabei als Sockelgeschoss erhalten. Der Typus des Säulenretabels beziehungsweise Ädikula-Altars war bis ins 19. Jahrhundert der vorherrschende Retabeltypus.
Bildnachweis:
TAFEL 1 (“Gesamtaufbau”) Grafik: Stanislaus Just — TAFEL 2 („Mensa”) oben: Katlenburg, St. Johannes, 1654/55; Mitte: ?; unten: ehem. Torgau, Schlosskapelle (Kriegsverlust) — TAFEL 3 („Predella”), Abb. 1: Sachsen-Anhalt, Halle-Saalkreis (Ev. Kirchenkreis), um 1520; Abb. 2: Bautzen, Stadtmuseum, Altar aus Kittlitz (Löbau), A. 16. Jh.; Abb. 3: Eisleben, St. Annen, 1510/15; Abb. 4: Bitterfeld, St. Antonius, A. 16. Jh.; Abb. 5: Eisenach, Predigerkirche (Thüringer Museum), 1510/20; Abb. 6: Mühlbeck, um 1520; Abb. 7: Goslar, Marktkirche St. Cosmas und Damian, 1659 — TAFEL 4 („Schrein und Flügel”), oben: Bad Gandersheim, Stiftskirche St. Anastasius und Innocentius, 1521; unten links: Bad Gandersheim, Stiftskirche St. Anastasius und Innocentius, 1521; unten rechts: Bad Gandersheim, Clus, ehem. Klosterkirche St. Maria und St. Georg, 1487 — TAFEL 5 (“.….”) Grafik: Stanislaus Just; rechts: Halle (Saale), ehem. Neumarktkirche St. Laurentius (zerstört), 3. Drittel 15. Jh. — TAFEL 6 (“Flügelklappungen”), oben links: Sachsen-Anhalt, Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, um 1520, oben rechts: Sachsen-Anhalt, Ev. Kirchenkreis Halberstadt, 1485, unten: Querfurt, Burgmuseum, Flügelaltar aus der Dorfkirche in Rothenschirmbach, um 1485–90 — TAFEL 7 („Schreintypen”), Einfigurenschrein: Kretzschau, Dorfkirche, A. 16. Jh.; Zweifigurenschrein: Freiberg, Stadt- und Bergbaumuseum, um 1500; Dreifigurenschrein: Eisenach, Predigerkirche, Thüringer Museum, 1507/10; Vierfigurenschrein: Halle (Saale), Kunstmuseum Moritzburg, um 1510; Viereraltar links: Sachsen-Anhalt, Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, E. 15. Jh.; Viereraltar rechts: Westdorf, Dorfkirche, um 1500; Mehrfigurenschrein / Szenenaltar links: Hettstedt, St. Gangolf, 1510/20; Mehrfigurenschrein / Szenenaltar rechts: Eisenach, Predigerkirche, Thüringer Museum, 1519 — TAFEL 8 („Gesprenge“), Grafik: Stanislaus Just; Abb. 1: Magdeburg, Walloner-Kirche, 1488; Abb. 2 Halle (Saale), St. Mauritius u. Paulus (Moritzkirche), um 1500; Abb. 3 Holleben, Dorfkirche, um 1530 — TAFEL 9 („Säulenretabel“): Abb. 1: Dresden-Loschwitz, Kirche, 1606; Abb. 2: Goslar, Marktkirche St. Cosmas und Damian, 1659; Abb. 3: Quedlinburg, St. Nikolai-Kirche, 1712.
Autoren:
Alexandra Böttger, Da My Dao, Paul Koch, Stanislaus Just, Tuan Anh Le, Redaktion: Sebastian Schulze (2021)
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