Skulptur in Mitteldeutschland

Spätgotik bis Frühbarock

Ornament

Das Orna­ment bildet häufig den archi­tek­to­ni­schen Rahmen figür­li­cher Skulp­tu­ren und ist damit ein wesent­li­cher Bestand­teil der Gattung Plastik. Die euro­päi­sche Kunst­ge­schichte beherr­schen von der Antike bis in das frühe 20. Jahr­hun­dert mit Klassik und Gotik nur zwei orna­men­tale Haupt­stile, die jedoch zahl­rei­che fan­ta­sie­volle Varia­tio­nen durch­lie­fen. Gute Kennt­nisse auf diesem Gebiet gestat­ten auf­grund der häufig wech­seln­den Orna­ment­mo­den oft eine sehr genaue zeit­li­che Ein­ord­nung auf ca. +/- 20 Jahre.

Spätgotik

1 Fischblase/doppelter Schneuß | 2 Kielbogen/ Esels­rü­cken­bo­gen mit Krabben| 3 Vier­blatt in Kreis­form | 4 Kreuz­blume mit Krab­ben­be­satz | 5 Bal­da­chin aus dis­tel­ar­ti­ges Ran­ken­werk, dazwi­schen Fialen | 6 Zier­kamm aus Kreuz­blu­men­fries | 7 Schlei­er­brett („Ran­ken­schleier“) | 8 Maß­werk­leiste aus lie­gen­den Vier­päs­sen | 9 Ehren­vor­hang mit Auf­hän­gung und Bro­kat­mus­ter | 10 Press­bro­kat mit Gra­nat­ap­fel­mus­ter und sti­li­sier­ten Ranken

In der Blü­te­zeit der Schnitzr­e­ta­bel im 15. und frühen 16. Jahr­hun­dert wurden Pre­della, Schrein und Flügel unten mit orna­men­ta­len Sockeln, oben mit Bal­da­chi­nen oder Schlei­er­bret­tern geschmückt. Diese Schlei­er­bret­ter bestan­den aus geo­me­tri­schem Maßwerk oder vege­ta­bi­len Ranken- und Blatt­frie­sen. Im Übrigen kamen mit Fialen, Kreuz­blu­men, Kiel- und Spitz­bö­gen die wich­tigs­ten Orna­ment­for­men goti­scher Kathe­dra­len auch bei den rah­men­den Klein­ar­chi­tek­tu­ren skulp­tu­ra­ler Werke zur Anwen­dung. Ein wich­ti­ges Flä­chen­or­na­ment war das ursprüng­lich textile, aus sti­li­sier­ten Blüten- und Ranken kom­po­nierte Gra­nat­ap­fel­mus­ter. Aus der Tex­til­kunst über­nom­men, kam es beson­ders häufig für den soge­nann­ten Press­bro­kat auf den ver­gol­de­ten Rück­wän­den der Altar­schreine zur Anwendung.

Astwerkstil

1 Sakra­ments­ni­sche mit rah­men­den Astwerk | 2 „Frei­ber­ger Tul­pen­kan­zel“ in Kelch­form kom­po­niert aus Ranken- und Blatt­werk | 3 Portal mit Gewände aus über­kreuz­tem Stab­werk und Vor­hang­bo­gen­ab­schluss unter Kiel­bo­gen­be­da­chung | 4 Chor­ge­stühls­wange mit Ast­werk­or­na­ment, rechts außen: gedreh­ter Stab

Der soge­nannte Ast­werk­stil ist ein orna­men­ta­ler Son­der­stil inner­halb der Spät­go­tik, der etwa in den Jahren 1480–1520 ver­brei­tet war. Beson­ders cha­rak­te­ris­tisch sind die namen­ge­ben­den natur­haf­ten Ast- und Zweig­for­men mit Stümp­fen. Die berühmte Frei­ber­ger Tul­pen­kan­zel ist als pflanz­li­ches Groß­or­na­ment in Form eines Blü­ten­kelchs kom­po­niert. Typisch für diese Epoche sind auch durch­ge­steck­tes Stab­werk und Vorhangbögen.

Frührenaissance

1 und 4 Wap­pen­auf­satz und Portal mit flan­kie­ren­den Kan­der­la­ber­säu­len und Rund­gie­bel mit Kugel­auf­sät­zen | 2 und 3 Kandelabersäulen

Die Über­nahme anti­ki­sie­ren­der Formen der lombardisch-venezianischen Renais­sance nörd­lich der Alpen bildet im Bereich des Orna­ments um etwa 1520 eine Epo­chen­scheide. Die mar­kan­tes­ten orna­men­ta­len Ele­mente der deut­schen Früh­re­nais­sance sind Rund­gie­bel mit Kugel­auf­sät­zen und die kugel­för­mi­gen Balus­ter­säu­len, die häufig aus meh­re­ren Glie­dern zusam­men­ge­setzt sowie mit Schmuck­rin­gen und fan­ta­sie­vol­len Kapi­tel­len ver­ziert sind. Dieser Orna­ment­stil ver­schwand um etwa 1550.

Florisrenaissance und Beschlagwerkstil

1 Gesims­aus­schnitt, von unten nach oben: korin­thi­sches Kapi­tell, Profil mit Perl­stab (Astra­gal), Fries aus Akan­thus­ran­ken und Gro­tes­ken­maske, Zahn­schnitt­fries, ioni­sches Kyma­tion, Deck­platte mit blatt­be­setz­ten Kon­so­len und Roset­ten­fül­lun­gen | 2 — 3 Gro­tes­ken­mas­ken im Floris-Stil | 4 Löwen­maske | 5 Säu­len­man­schette mit Akan­thus und schwar­zen Schmuck­knöp­fen in Rollwerkrahmung

Nach 1550 ver­brei­tete sich im deutsch­spra­chi­gen Raum, von Italien aus­ge­hend, ver­mit­telt über Frank­reich und die Nie­der­lande, eine rei­chere Form der Renais­sance­or­na­men­tik. Eine beson­ders wich­tige Rolle spielte hier der Bild­hauer und Archi­tekt Cor­ne­lis Floris aus Ant­wer­pen, dessen orna­men­tale Ent­würfe durch Kup­fer­sti­che in Mittel- und Nord­eu­ropa Ver­brei­tung fanden und nach dem dieser Orna­ment­stil benannt werden kann. Die mar­kan­teste Ein­zel­form dieses Stils ist das als Rah­men­form häufig nach vorne auf­ge­bo­gene Roll­werk – weshalb man auch vom Roll­werk­stil spre­chen kann. Das Roll­werk wird u.a. kom­bi­niert mit den klas­si­schen Säulen‑, Gebälk- und Fries­for­men, mit zahl­rei­chen anthro­po­mor­phen, tie­ri­schen ‑oder pflanz­li­chen Gro­tes­ken­mas­ken, mit Hermen oder Karya­ti­den und Fruchtbündeln.

 

1 und 3 Putto in Volu­ten­spange („gefan­ge­nes Wesen“) | 2 Roll­werk­ta­fel | 4 Frucht­korb | 5 Pilas­ter mit Kan­de­la­ber­or­na­ment (Aus­schnitt) | 6 Herme mit Schaft aus Roll- und Beschlagwerk

1 Gebälk mit Bukra­nien, Frucht­bün­deln an Tuch­gir­lande (Frucht­schnur), kind­li­chem Gaff­kopf vor Mit­tel­kon­sole, darüber Fries mit ioni­schem Kyma­tion | 2 Engels­putte / Putto / Puttino | 3 Schnur / Kordel mit Quaste | 4 Roll­werk­kar­tu­sche (mit Meis­ter­schild) | 5 Tuch­schnur mit Frucht­bün­del | 6 Abhäng­ling mit Beschlag­werk­or­na­ment | 7 Engels­flucht / Engels­mas­ken | 8 Feston | 9 Beschlag­werk | 10 Volu­ten­or­na­ment mit Beschlag­werk­auf­la­gen und Schmuckknöpfen

Knorpelwerkstil

1  Gro­teske und Volu­ten­or­na­ment | 2 anthro­po­mor­phes Knor­pel­werk­or­na­ment | 3 gespreng­ter Giebel mit gequetsch­ten und geschleu­der­ten Voluten | 4 Mas­ke­ron in Volu­ten­or­na­ment aus C- und S‑Schwüngen | 5 gro­teske Konsole im Teig­werk­stil | 6 C‑Schwung | 7 Schotenornament

Ab etwa 1615/20 ver­brei­tete sich eine Orna­ment­mode, welche die Formen teigig und knor­pe­lig auf­weichte, ver­formte und ver­schliff. Gut erkenn­bare Ein­zel­or­na­mente sind das aus auf­ge­reih­ten Kugeln bestehende Scho­ten­werk und die zu Ellip­sen gequetsch­ten Voluten, die manch­mal spi­ral­för­mig in den Raum ver­dreht sind. Dieser Orna­ment­stil wird in Mittel- und Nord­deutsch­land erst um etwa 1670 vom Hoch­ba­rock abgelöst.

 

Text und Bild­re­dak­tion: Sebas­tian Schulze unter Ein­be­zie­hung stu­den­ti­scher Pro­jekt­ar­beit (2020)


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