Skulptur in MitteldeutschlandSpätgotik bis Frühbarock
Typische Kreuzformen bei Kruzifixen
1 Lateinisches Kreuz (Hochkreuz, Passionskreuz, stehendes Kreuz, crux immissa) | 2 T‑Kreuz (Taukreuz, Antoniuskreuz, ägyptisches Kreuz, crux commissa) | 3 Apfelkreuz | 4 Kleeblattkreuz | 5 Endwürfelkreuz | 6 Endquaderkreuz
Die häufigste für Kruzifixe gewählte Kreuzform ist wohl das Lateinische Kreuz, welches sich durch den nach unten verlängerten Kreuzstamm vom Griechischen Kreuz unterscheidet. Das Kleeblattkreuz, das Endquader- wie das Endwürfelkreuz und auch das Apfelkreuz sind lediglich Ableitungen des Lateinischen Kreuzes, dessen Enden eine zusätzliche Ausformung erhalten.
Auch das T‑Kreuz, bestehend aus einem auf dem Kreuzstamm liegenden Querbalken, ist häufig bei Kruzifixen zu verzeichnen. Selten und vereinzelt sind T‑Kreuze mit abgewandelten Enden.
Korpus
1 Haupt mit Dornenkrone | 2 über Schulterhöhe ausgebreitete, gerade durchgestreckte Arme, offene Handflächen und gekrümmte Finger | 3 leicht gewölbter Thorax mit hervortretenden Rippen und blutender Seitenwunde | 4 tiefansetzendes Lendentuch mit mittigem Wulstüberschlag | 5 schlanke, parallel geführte Beine mit leicht angewinkelten Knien, rechter Fuß über den linken
1 gewölbter Brustkorb und stark eingezogener Bauch mit halbmondförmiger Seitenwunde | 2 kräftiger Thorax mit deutlich hervorgehobenen Muskelpartien und hochangesetzter, stark blutender Seitenwunde
Stigmata — Die fünf Wundmale Christi
1 halbmondförmige Seitenwunde | 2 schräg angesetzte Seitenwunde | 3 und 4 Wunden an den Füßen durch den Nagel | 5 Nagel durch Handfläche und gekrümmte Finger
Haupt
1 Dornenkrone | 2 Augen: offen oder geschlossen? | 3 Mund: offen oder geschlossen? | 4 Haare und Bart
Dornenkrone
1 aus zwei dicken Ästen gewunden | 2 platt geflochten mit stilisierten Dornen | 3 aus einem dicken Tau geschlungene “Storchennest-Krone” | 4 aus feinen echten Zweigen gewunden | 5 geschnitzt und gebündelt
Lendentuch
Lendentuch mit mittigem Wulstüberschlag und Tuchende zwischen den Beinen, zweites Tuchende rechtseitig herabhängend.
1 Lendentuch mit Schlaufenknoten rechts | 2 mit Parallelfalten, mittigem Wulstüberschlag und beidseitig flatternden Enden | 3 mit mittigem Wulstüberschlag und Schlaufe rechts | 4 vielteilig gesträhntes L. mit seitlichem Wulstüberschlag, Schlaufenbildung und beidseitig expressiv flatternden Enden
Titulus
»Pilatus ließ ein Schild am Kreuz anbringen, auf dem die Worte standen: ›Jesus aus Nazareth, der König der Juden‹. Die Stelle, an der Jesus gekreuzigt worden war, lag nahe bei der Stadt. Und so lasen viele Juden diese Inschrift, die in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst war. […]« (Joh. 19.22)
Basierend auf der Bibelstelle tragen einige Kruzifixe über dem Haupt des Gekreuzigten den sog. Titulus oder Titulus crucis: I.N.R.I., die Abkürzung des lateinischen Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum. Der Titulus kann dabei auf einem am Kreuzstamm befestigten Brett, einer stilistierten Schriftrolle oder direkt auf dem Kreuz stehen. Seltener wird der Titulus in ausgeschriebener Form gewählt, wie bspw. in Aschersleben, oder zusätzlich in hebräischer und griechischer Sprache verfasst, wie in Goslar.
Literatur
Huber/Rieth (Hg.) 1992 | R. Huber/R. Rieth: Glossarium Artis 2: Kirchengeräte, Kreuze und Reliquiare der christlichen Kirchen, München, London, New York, Paris 1992.
Jahn/Haubenreisser (Hg.) 1995 | Lemmata „Kreuzigung Christi“, in: Johannes Jahn/Wolfgang Haubenreisser, Wörterbuch der Kunst, Kröners Taschenbuchausgabe, Bd. 165, 12. Auflage, Stuttgart 1995, S. 458–460.
von Witzleben o.J. | Elisabeth von Witzleben: Dornenkrone, RDK IV, 299–311, in: Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte.
Abbildungen
(Von oben nach unten) TAFEL 1 (“Gesamtaufbau”), Grafik Lisa Hennicke, Abb.1 Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, um 1500 — TAFEL 2 (“Kreuz”), Grafik Lisa Hennicke — TAFEL 3 (“Kreuzformen”), Grafik Lisa Hennicke — TAFEL 4 (“Korpus”), Goslar, St. Jakobi, um 1520 — TAFEL 5, Grafik Lisa Hennicke, Abb. 1. Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, vor 1500; Abb. 2. Halle (Saale), etwa Mitte 16. Jh. bis 17. Jh. — TAFEL 6 (“Stigmata”), Abb. 1 Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, Questenberg, St. Marien; Abb. 2 Goslar, Goslarer Museum, ursprünglich Goslar, Stiftskirche St. Simon und Judas, um 1500; Abb. 3 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um 1500; Abb. 4 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um 1500; Abb. 5 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um 1500 — TAFEL 7 (“Haupt”), Grafik Lisa Hennicke, Abb. 1. Bad Grund (Niedersachsen), um 1500 — TAFEL 8 (“Dornenkrone”), Grafik Lisa Hennicke, Abb. 1. Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, vor 1500; Abb. 2 Quedlinburg, St. Nikolai, um 1500; Abb. 3 Ev. Kirchenkreis Naumburg-Zeitz, spätgotisch; Abb. 4 Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, Eisleben, um 1520; Abb. 5 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, Wernigerode, St. Johannis, — TAFEL 9 (“Lendentuch 1”), von links nach rechts: Abb. 1 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um 1500; Abb. 2 Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, um 1500; Abb. 3 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um 1500; Abb. 4 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, Ende 15 Jh. — TAFEL 10 (“Lendentuch 2”), Abb. 1 Ev. Kirchenkreis Halberstadt, Emersleben, St. Petri; Abb. 2 Merseburg, St. Maximi; Abb. 3 Goslar, Neuwerkkirche, 2. Viertel 16. Jh.; Abb. 4 Mansfeld, Schlosskirche — TAFEL 11 (“Titulus”), Abb. von links oben nach rechts unten: Ev. Kirchenkreis Halberstadt, Quedlinburg St. Aegidii; Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, Ende 15. Jh; Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda, um 1500; Ev. Kirchenkreis Halberstadt, um1500; Ev. Naumburg-Zeitz, Kirchscheidungen, Dorfkirche, Anfang 16. Jh; Braunschweig, Landeskirche, frühes 16. Jh.
Text und Bildredaktion: Lisa Hennicke (2020)
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