Skulptur in MitteldeutschlandSpätgotik bis Frühbarock
Biogramm
Georg Steyger (oder Steiger) aus Quedlinburg zählt ausweislich der ihm zuzuordnenden Werke zu den wichtigsten Bildschnitzern der Jahre um 1600 in der weiteren Harzregion. Aus seiner Werkstatt stammen drei prächtig geschmückte Kanzeln in Quedlinburg, Helmstedt und Wolfenbüttel sowie mehrere Epitaphien. Trotz der augenscheinlichen Bedeutung des Meisters liegen bislang keine zusammenhängenden Forschungen zu seiner Biographie und zu seiner künstlerischen Tätigkeit vor.
Die historische Hausforschung konnte “Georg Steier” 1600 als Besitzer des Hauses in der Schmalen Straße 60 in Quedlinburg nachweisen, das sich spätestens 1610 nicht mehr in seinem Besitz befand (Wauer 2014). Urkundlich fassbar wird der Meister sehr wahrscheinlich auch in einer um 1604 zu datierenden Archivalie im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt: In diesem Schreiben fordert „George Steyer [?] Bildenhauer“ von dem Zöllner Elias Fischer in der gräflich-schwarzburgischen Residenz (Bad) Frankenhausen insgesamt 60 Taler, nämlich 20 Taler für den Entwurf “vor ein begrebauß undt tafell so an die wandt soltt gesetz werden”, 10 Taler für einen “abriß zum tauffstein”, 10 Taler für einen “abriß zum predigstuhell” und für den Entwurf eines weiteren Grabmals, über welches er mit Graf Wilhelm persönlich geredet habe, außerdem 20 Taler für seine Reise in die nordthüringische Stadt. Diese unbescheidene Forderung dürfte die Beziehung des Bildhauers zu dem Grafenhaus mutmaßlich vor Erteilung des Auftrags beendet habe. Den nicht mehr nachweisbaren Taufstein führte nach E. Schmidt (1967) dann der Nordhäuser Bildhauer Johann Duck (oder: Tück) aus.
Ebenso wenig wie Steygers Geburtsjahr und Herkunftsort ist auch der Zeitpunkt seines Todes bekannt. Durch seine Werke ist eine Schaffenszeit bis mindestens 1623 wahrscheinlich. Sein Sohn Samuel Steiger ist der thüringischen Kunstgeschichtsforschung als Bildhauer und Baumeister bekannt. Er wirkte Mitte des 17. Jahrhunderts nicht unwesentlich am Neubau des Schlosses Friedensstein in Gotha mit (Vgl. Beck 1865). 1630 bis 1637 ist Samuel als Besitzer des Hauses in der Schmalen Straße 18 in Quedlinburg nachweisbar. 1660 befand sich dieses im Besitz seiner Witwe und wurde dann von mindestens 1675 bis 1693 von einem jüngeren Georg Steiger bewohnt, der in Quedlinburg das städtische Amt eines Baumeisters bekleidete. Als letzter Angehöriger der Künstlerfamilie ist 1701 bis 1720 der Maler Theodor Steiger als Besitzer dieses Hauses nachweisbar (Wauer 2014).
Urkundlich als Arbeit Steygers gesichert ist bislang nur die hölzerne Moseskanzel der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel, die dem Meister am 22. Dezember 1619 für 900 Taler in Auftrag gegeben wurde und laut Vertrag innerhalb eines Jahres zu liefern war. Die Aufstellung erfolgte allerdings erst 1623, die farbliche Gestaltung durch den Maler Heinrich Dedecke 1624. Weitere stattliche Zahlungen an andere Bildhauer bei Aufstellung und Umsetzung der Kanzel 1626 machen deutlich, dass das umfangreiche Ensemble von mehreren Künstlern ausgeführt wurde.
Von der Wolfenbütteler Kanzel ausgehend wurden dem Meister überzeugend die Kanzeln der Benediktikirche in Quedlinburg (1595) und in der Stephanikirche in Helmstedt (nach 1596) zugeschrieben. Die Kanzel in der Stephanikirche in Helmstedt stifteten nach dem Tod des Joachim Mynsinger von Frundeck 1596 seine Witwe Agnes von Oldershausen und die Söhne des Verstorbenen. Der Kanzelkorb ruht auf einer Mosesfigur und bietet Raum für Evangelisten, Personifikationen, etliche Reliefs mit überwiegend neutestamentarischen Darstellungen sowie einer Ahnenprobe der Stifterfamilie. Das mehrzonige hölzerne Wandepitaph für Sigismund Julius Mynsinger von Frundeck (gest. 1596) in der Helmstedter Stephanikirche dürfte aus derselben Werkstatt stammen, ebenso das daneben angebrachte, gleichartige Epitaph für den Theologen Tilemann Heshusius (gest. 1588).
Durch Inschrift für Steyger gesichert ist das 1608 gestiftete hölzerne Wandepitaph der Familie von Mahrenholtz in der Kirche von Wolfsburg-Hattorf mit einem zentralen Kreuzigungsrelief, vor dem die vollplastischen Figuren der Stifterfamilie knien, und schwungvoll manierierten Engelstatuetten, die mit den Leidenswerkzeugen Christi den architektonischen Aufbau bekrönen.
Durch Stilvergleich dem Quedlinburger Meister zuzuschreiben ist mit starker Evidenz auch das elegante hölzerne Standepitaph für Dietrich von Gadenstedt (gest. 1586), seine Frau Ottilie und ihre sieben Kinder in der Kirche St. Sylvestri in Wernigerode. Mit etwas geringerer Sicherheit lässt sich schließlich die prächtige Schnitzfigur des Kanzelträgers Samson unter dem Kanzelkorb der Martinikirche in Halberstadt dieser Werkgruppe anschließen.
Steyger ist ein ausgeprägter Vertreter des Manierismus: Die mit dem zeittypischen Roll- und Beschlagwerk verzierten Kanzeln und Grabdenkmäler schmücken Figuren mit häufig stark überlängten Körperformen. Zwar ist bei den umfangreichen Kanzeln und Epitaphien generell von einer kooperativen Erstellung auszugehen, dennoch erweist sich der Zusammenhang der Werke durch ihren Gesamtentwurf und stilistische Details, insbesondere durch markante Gesichtstypen.
Werke
HALBERSTADT
- St. Martini:
Figur des Kanzelträgers Samson, datiert 1595 (Zuschreibung)
HELMSTEDT
- St. Stephani:
Epitaph Tilemann Heshusius (gest. 1588) (Zuschreibung)
Epitaph Sigismund Julius Mynsinger von Frundeck (gest. 1596) (Zuschreibung)
Kanzel, nach 1596 (Zuschreibung)
QUEDLINBURG
- Marktkirche St. Benedikti:
Kanzel, 1595 (Zuschreibung)
Fragmente eines Epitaphs über dem Portal der Kalandsstube mit Stifterfiguren und Relief mit Anbetung der 24 Ältesten (Zuschreibung)
Epitaph des Heinrich Faber (gest. 1598) (Zuschreibung)
WERNIGERODE
- St. Sylvestri:
Epitaph für Dietrich von Gadenstedt (gest. 1586) und Familie (Zuschreibung)
WOLFENBÜTTEL
- Hauptkirche Beatae Mariae Virginis:
Kanzel, 1619–1623 (urkundlich gesichert, bemalt von Heinrich Dedecke 1624)
Literatur
Archivalie Staatsarchiv Rudolstadt 1601-09 | Rudolstadt, StaatsA, Kanzlei Sondershausen, Nr. 3364 Acta betr. das Epitaphium welches dem verstorbenen Gr. Wilhelm zu Schwartzburg in der Unterkirche zu Frankenhausen zu verfertigen u. a., 1601–1609.
Beck 1865 | August Beck: Ernst der Fromme. Herzog zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des siebenzehnten Jahrhunderts, 1. Teil, Weimar 1865, S. 691 f.
Dehio Niedersachsen 1992 | Georg Dehio Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bremen und Niedersachsen. Bearbeitet von Gerd Weiß unter Mitarbeit von Karl Eichwalder, Peter Hahn, Hans Eichwalder, Peter Hahn, Hans Christoph Hoffmann, Reinhard Karrenbrock und Roswitha Poppe, München u.a. 1992, S. 658, 678 u. 1301.
Henze 2005 | Ingrid Henze, Die Inschriften der Stadt Helmstedt bis 1800 (=Deutsche Inschriften 61), 2005, Nr. 92, Nr. 102 u. Nr. 103 [online].
Meier 1900 | Paul Jonas Meier, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogthums Braunschweig, Bd. 3, 1: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1900, S. 61 f.
Meier 1938 | Meier, Paul Jonas: »Steyger, Georg«, in: Thieme/Becker – Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 32, Leipzig 1938, S. 34.
Oertel 1952 | H. Oertel, Die St. Stephanikanzel in Helmstedt und ihre Stellung in der Frühgeschichte der protestantischen Kanzel, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Jg. 50, 1952, S. 96 ff.
Oertel 1974 | H. Oertel: Die Stephanikirche zu Helmstedt (als Beispiel protestantischer Bildausstattung). Zur 825-Jahr-Feier der Kirchengemeinde, in: Braunschweigisches Jahrbuch 55, 1974, S. 113–126.
Poscharsky 1963 | Peter Poscharsky: Die Kanzel. Erscheinungsform im Protestantismus bis zum Ende des Barocks (Schriftenreihe des Institutes für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Bd. 1), Gütersloh 1963, S. 199 ff.
Schmidt 1967 | Eva Schmidt: Nicolaus Bergner ein thüringischer Bildhauer der Spätrenaissance, in: Rudolstädter Heimathefte. Beiträge zur Heimatkunde des Kreises Rudolstadt, Jg. 13, 7/8 (Juli/August 1967), S. 166–179 und 254–267, hierl S. 178 Anm. 20.
Schulze 2014 | Sebastian Schulze: Mitteldeutsche Bildhauer der Renaissance und des Frühbarock (=Beiträge zur Denkmalkunde 9, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Landesmuseum für Vorgeschichte), Halle 2014, S. 87.
Wolf 2016 | Joachim Wolf: Quedlinburg, Marktkirche St. Benedikti. Welterbe der UNESCO (Peda-Kunstführer, 974), Passau 2016, S. 22 f.
Wauer 2014 | Karlheinz Wauer: Häuserbuch der Stadt Quedlinburg von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1950, A Die Altstadt, Marburg an der Lahn 2014, S. 547 (31) Schmale Straße 18 u. S. 585 (31) Schmale Straße 60 “1600 Georg Steier [Steiger]”.
(Text: Sebastian Schulze, 2020)
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