Skulptur in MitteldeutschlandSpätgotik bis Frühbarock
Biogramm
Das Geburtsjahr von Andreas Günther lässt sich ausgehend von den überlieferten Ausbildungszeiten mittelalterlicher Steinmetze und seiner ersten Nennung als Meister 1523 in den Zeitraum zwischen 1490 und 1500 eingrenzen. Die Bernburger Relieftafel nennt inschriftlich seinen Geburtsort Komotau in Nordböhmen. Hier entstammt er womöglich einer um 1500 in und bei Komotau ansässigen angesehenen Handwerkerfamilie, welcher auch der Steinmetz und Baumeister Hans Günther angehörte (Neugebauer 2011, S. 181f). Erstmals urkundlich nachweisen lässt sich Günther bei Um- und Neubauarbeiten der Chemnitzer Benediktinerklosterkirche 1523–1525 sowie mit dem Bau der ersten steinernen Brücke über die Zwickauer Mulde in Glauchau im Dienst der Herren von Schönburg. Zu einem unbekannten Zeitpunkt erwarb er das Bürgerrecht der Stadt Glauchau, ein staatliches Wohnhaus am Markt und weitere Liegenschaften (Vgl. Neugebauer 2011, S. 183f).
Von 1525 bis 1532 leitete Günther den Um- und Neubau der Schönburger Residenzen Hinterglauchau und Forderglauchau. Erstmals nachweisbar ist hier der von Eyvind Unnerbäck so bezeichnete „Glauchau-Typ“ des Welschen Giebels, eine markante Erfindung Günthers. Es folgten weitere Bauten für Ernst II. von Schönburg. Der Einsturz der Muldebrücke durch das Hochwasser 1529 führte für Andreas Günther zu einem folgenschweren Prozess mit dem Rat von Glauchau.
Vor März 1532 übernahm Günther einen Bauauftrag für die Herren von Bünau in Droyßig. Vermutet wird der Neubau des sog. Unteren Hauses. Außerdem entstand bis 1535 unter Günthers Leitung unweit von Droyßig die Auebrücke in Zeitz.
Im selben Zeitraum wurde Günther in Halle sehr wahrscheinlich für den Kaufmann und erzbischöflichen Beamten Hans von Schenitz tätig, an dessen Stadtresidenz, dem Haus „Zum Kühlen Brunnen“, typische Gestaltungselemente des Baumeisters festgestellt werden konnten (vgl. Neugebauer 2011, S. 83–85). Mit der Bestallung zum erzbischöflichen Landwerkmeister in den Stiften Mainz, Magdeburg und Halberstadt durch den Kardinalerzbischof Albrecht von Brandenburg am 5. Mai 1533 gelangte er in eines der höchsten Bauämter seiner Zeit. Seine vorübergehende Inhaftierung im Zuge des Glauchauer Brückenprozesses behinderten Günthers Arbeiten am Graben der Moritzburg in Halle, welche dann 1536 nach neuzeitlichen Vorstellungen zum Festungsbau vollendet wurden.
Im gleichen Jahr übernahm er die Errichtung des ‚Neuen Gebäudes‘ in Halle, einem „Initialbau der mitteldeutschen Frührenaissance“. Im Zusammenhang mit dem Erwerb des halleschen Bürgerrechts am 4. September 1533 steht der Ankauf eines Hauses in der Großen Ulrichstraße in Halle, das Günther repräsentativ umbauen ließ (Neugebauer 2011, S. 89 u. 185).
Als letzte Arbeit entwarf Günther 1536 das Westportal des Hallenser Domes, bevor er am 24. Mai 1537 aus dem erzbischöflichen Dienst entlassen wurde. Die Entlassung stand im Zusammenhang mit dem Schwur einer Urfehde, deren Anlass unbekannt ist. Anke Neugebauer (2011, S. 180f) vermutete als Grund einen Konflikt mit Kardinal Albrecht, vielleicht im Zusammenhang mit der Hinrichtung des Hans von Schenitz. Auch wandte sich Günther in diesem Zeitraum vermutlich der protestantischen Konfession zu.
1537 lieferte Günther Visierungen für den Marienberger Rathausneubau. Im April 1538 gelangte er an den Hof des Fürsten Wolfgang von Anhalt-Köthen und realisierte den Wolfgangbau des Schlosses Bernburg, mit dem der Umbau von der Burg zum Renaissanceschloss begann. Auf Fernwirkung bedacht, ließ Günther hier an der Südseite acht Relieftafeln mit Bildnisses Kaiser Karls V. und protestantischer Fürsten so anordnen, als schauten sie aus von Pfeilern und Rundbogen gerahmten Fenstern heraus (Neugebauer 2011, S.131). Auf der Südseite des Laufgangs stellte sich Günther in einem Relieffeld des Brüstungsgeländers in einer allegorischen Szene selbst dar. Die neuartige Darstellungsform geht unter anderem auf die Versillustration „Die Christliche Geduld“ von Hans Sachs zurück. Sie enthält ein Lutherzitat und ist ein eindeutiges Bekenntnis des Meisters zum Protestantismus.
Nach der Fertigstellung des Wolfgangbaus im September 1539 trat Günther am 30. Dezember 1539 in den Dienst der Grafen von Stolberg-Wernigerode. Hier fertigte er Visierungen und Risse für den Umbau des Stolberger Schlosses an. Gleichzeitig entwarf Günther ab Februar 1540 für die Dessauer Marienkirche ein Gewölbe, das später durch den Baumeister Ludwig Binder im Auftrag Günthers ausgeführt wurde. Noch 1540 erfolgte Günthers Umzug nach Torgau, der Neubau eines Wohnhauses in der Leipziger Straße und seine Bestallung zum Baumeister. Ob Günther in Torgau am Umbau des Schlosses Hartenfels mitwirkte, lässt sich nicht erschließen (Neugebauer 2011, S. 147, 168 u. 187).
Ab Dezember 1540 wird Günther als Baumeister der kurfürstlichen Festung Grimmenstein in Gotha herangezogen. Als Nachfolger von Konrad Krebs gelangt er schließlich am 8. März 1541 erneut in die Position eines landesfürstlichen Werkmeisters des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Günther war damit für alle Baumaßnahmen in den ernestinischen Landen zuständig. Er fertigte Gutachten an, rekrutierte Handwerker und beauftragte Instandsetzungsarbeiten. Sieben Monate später verunglückte er tödlich auf der Festung Grimmenstein in Gotha durch einen Sturz vom Gerüst (Neugebauer 2011, S. 167, 174 u. 187 f). Das genaue Todesdatum ist unbekannt, die Todesnachricht an den Kurfürsten datiert auf den 24. September 1541.
Günthers architektonische Motive, allen voran der Welschen Giebel und die vielfach rezipierten Portallösungen prägen die Architektur der Frührenaissance in Mitteldeutschland. Die neuartige, repräsentative Fassadenarchitektur mit Erkern und Rundtürmen an der Westseite des Wolfgangbaus in Bernburg wurde prägend für die mitteldeutschen Schlossarchitektur. Seine dort angebrachten Relieftafeln beinhalteten bereits den Grundgedanken vorbarocker Selbstverherrlichung und gehören zu den frühsten profanen Herrscherdenkmälern der Zeit. Sein Selbstporträt ist ein Zeugnis der konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit und im mitteldeutschen Raum völlig singulär.
Werke
BERNBURG
- Neubau „Wolfgangbau“, mit zugehörigen Relieftafeln, 1538–1539 (Selbstbildnis und Inschrift)
CHEMNITZ
- Um- und Neubau der Benediktinerklosterkirche, 1523–1525 (Meisterzeichen)
DESSAU
- Visierung der Wölbung der Dessauer Marienkirche, 1540
DRESDEN
- Umbau Schönburger Stadthaus, Ecke Schloßstraße und Große Brüdergasse), 1525–1532 (?) (Zuschreibung)
DROYßIG
- Baumaßnahmen am Unteren Haus, 1532–1538(?) (Zuschreibung)
GLAUCHAU
- Muldebrücke, 1525
Umbau Schloss Hinterglauchau, 1525–1532/33 - Neubau Schloss Forderglauchau, 1525–1532/33
- Neubau Schloss Waldenburg (Zuschreibung)
GOTHA
- Umbau der Festung Grimmenstein, 1540–1541
HALLE
- Nordhof des Bürgerhauses “Kühler Brunnen” — Saalbau, Arkadenbau, Torhaus, 1532?–1534
- Ausbau Moritzburggraben, 1533–1536
- Neubau “Neues Gebäude”, 1533–1537
- Umbau des Bürgerhauses in der Großen Ulrichstraße 58, ab 1533 (Zuschreibung)
- Glockenturm auf Domplatz, 1534/35–1536 (Zuschreibung)
- Westportal im Hallenser Dom, 1536 (Meisterzeichen)
MARIENBERG
- Visierung des Marienberger Rathausneubaus, 1537
STOLBERG
- Visierung des Umbaus des Stolberger Schlosses, 1539–?
TORGAU
- Wiederaufbau eines Bürgerhauses in der Leipziger Straße 19, 1540–1541
- Umbau des Schlosses Hartenfels, 1540–1541 (?) (Zuschreibung)
ZEITZ
- Auebrücke, 1532–1535
Bibliographie
Grote 1929 | Ludwig Grote: Andreas Günther, der Baumeister des Schlosses in Bernburg, in: Montagsblatt. Wissenschaftliche Beilage der Magdeburgischen Zeitung, Nr. 47 vom 25. November 1929.
Grote 1930 | Ludwig Grote: Näheres über den anhaltischen Baumeister Andreas Günther, in: Montagsblatt. Wissenschaftliche Beilage der Magdeburgischen Zeitung, Nr. 21 vom 26. Mai 1930.
Neugebauer 2008 | Anke Neugebauer: “Andres Gvnter von Kometav. Ein Werkzevg Esv Christi”: Das vergessene Baumeisterbildnis vom Bernburger Wolfgangbau, in: Das Bernburger Schloss — aktuelle bau- und kunsthistorische Erkenntnisse (=Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts 47), Halle/Saale 1995, S. 65–82.
Neugebauer 2011 | Anke Neugebauer: Andreas Günther von Komotau: ein Baumeister an der Wende zur Neuzeit (=Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte 11), Phil. Diss., Bielefeld 2011.
Neugebauer 2015 | Anke Neugebauer: Andreas Günther von Komotau — Landbaumeister im Dienst von Kardinal und Kurfürst, in: Markéta Prontekerová/ Renáta Gubíková (Hrsg.), Josef Opitz und die Kunst im Komotauer und Kaadener Land 1350–1590, Chomutov, S. 315–344.
Neugebauer 2019 | Anke Neugebauer: Der Wolfgangbau des Bernburger Schlosses: Zum Stand der Forschung, in: Leonhard Helten/ Anke Neugebauer/ Uwe Schirmer (Hrsg.): Mitteldeutsche Residenzen. Neuere Forschungen (Junges Forum LEUCOREA I), Halle 2019, S. 37–60.
Röber 1981 | Wolf-Dieter Röber: Unbekannte Ansichten von Schlössern und Vorwerken auf einem schönburgischen Stammbaum, in: Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau, Heft 3, S. 15–40.
Röber 1992 | Wolf-Dieter Röber: Das schönburgische Schloß Vorderglauchau und sein Baumeister Andreas Günther, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der MLU Halle-Wittenberg, Geisteswissenschaftliche Reihe, 41/5, S. 57–63.
Roch 1995 | Irene Roch: Die Bildnisreliefs am Wolfgangbau des Schlosses Bernburg/Saale — ein Beitrag zur protestantischen Herrschaftsikonographie, in: Thomas Trajkovits/ Ute Reupert/ Winfried Werner (Hrsg.), Denkmalkunde und Denkmalpflege. Wissen und Wirken (Festschrift für Heinrich Magirius zum 60. Geburtstag am 1. Februar 1994), Dresden, S. 323–330.
Roch-Lemmer 2003 | Irene Roch-Lemmer: Die Fürstenbildnisse am Wolfgangbau des anhaltischen Schlosses Bernburg, in: Werner Freitag/ Michael Hecht (Hrsg.), Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte des Spätmittelalters und Früher Neuzeit, Halle, S. 144–159.
Schubart 1939 | Werner Schubart: Bildwerke der Renaissance in Bernburg und Hecklingen, in: Bernburger Kalender 1939, S. 117–133.
Autor:
Heinz Philipp Embacher (2021)
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