Skulptur in Mitteldeutschland

Spätgotik bis Frühbarock

Bild­schnit­zer, tätig um 1500 in Obersachsen

Biogramm

Der Meister des Altars von Geyer ist ein Notname, welcher einen Bild­schnit­zer bezeich­net, der zwi­schen 1480 und 1500 im oberen Erz­ge­birge tätig war. Benannt wurde der Meister nach dem ihm zuge­schrie­be­nen Nikolaus-Altar aus Geyer.
Der Künst­ler ist ein Ver­tre­ter der spät­go­ti­schen sakra­len Schnitz­kunst in Sachsen. Laut Walter Hent­schel (1938, S. 296) und Ulrich Thiel (2001, S. 6 f) hat der Meister des Altars von Geyer die Werke der ihm nach­fol­gen­den regio­na­len Bild­schnit­zer in Technik und Umset­zung stark beein­flusst. Hent­schel (1926, S. 37) und Ingo Sandner (1993, S. 104) ver­mu­te­ten einen Zusam­men­hang zwi­schen dem Meister des Geyerer Altars und dem Meister der Frei­ber­ger Doma­pos­tel. Demnach könnte der Meister des Altars von Geyer der Lehrer des Frei­ber­ger Apos­tel­meis­ters gewesen sein. Wilhelm Waet­zoldt (1930, S. 169) beur­teilte diese Mut­ma­ßun­gen und die aus­schließ­lich durch Stil­ver­gleich kon­stru­ierte Werk­gruppe jedoch kri­tisch.
Figuren aus dem Schnitzr­e­ta­bel des Nikolaus-Altares von Geyer wurde auf dem Dach­bo­den der Lau­ren­ti­us­kir­che zu Geyer ent­deckt und 1907 vom Dresd­ner Alter­tums­mu­seum erwor­ben. Mit dem unbe­kann­ten Meister des Altars setzte sich erst­ma­lig der Kunst­his­to­ri­ker Walter Hent­schel in seinem 1926 ver­öf­fent­lich­ten Buch “Säch­si­sche Plastik um 1500” aus­ein­an­der. 1938 schrieb Hent­schel den Artikel “Der Altar von Geyer und sein Meister”. Die nach­fol­gen­den For­schun­gen bauen haupt­säch­lich auf diesen Beob­ach­tun­gen auf.
Der dem Meister von Geyer eben­falls zuge­schrie­bene, unvoll­stän­dig erhal­tene Frei­ber­ger Nikolaus-Altar wurde auf dem Dach­bo­den der Hos­pi­tal­kir­che St. Johan­nis zu Frei­berg gefun­den und kam 1860 in die Samm­lung des Frei­ber­ger Alter­tums­ver­eins, die später vom Frei­ber­ger Stadt- und Berg­bau­mu­seum über­nom­men wurde. W. Hent­schel (1938, S. 264 f) schrieb dem Bild­schnit­zer des Altars von Geyer auch Ein­zel­fi­gu­ren aus den schon damals ver­lo­re­nen Schnitz­al­tä­ren in Groß­schirma und Blan­ken­stein zu: Eine enge gestal­te­ri­sche Ver­wandt­schaft sah er zwi­schen der Chris­tus­fi­gur der Deesis-Gruppe des Altars von Geyer und der Figur des Auf­er­stan­de­nen aus Groß­schirma im Stadt- und Berg­bau­mu­seum Frei­berg.
Auch in dem Hei­li­gen Diakon aus Blan­ken­stein sieht Hent­schel (1938, S. 265) Merk­male, die eine Ver­wandt­schaft mit dem Hei­li­gen Erasmus und dem flie­gen­den Engel des Nikolaus-Altares von Geyer impli­zie­ren könnten. Durch die Zer­stö­rung eines Teils der dem Meister zuge­schrie­be­nen Werke werden weitere kunst­ge­schicht­li­che Betrach­tun­gen und Erkennt­nisse erschwert. Ins­be­son­dere die Bom­bar­die­rung Dres­dens 1945 hatte die Ver­bren­nung vieler Kunst­werke der Samm­lung des Säch­si­schen Alter­tums­ver­eins zur Folge.
Nach ver­schie­de­nen Ver­mu­tun­gen stammt der Bild­hauer aus Frei­berg selbst, aus Westsachsen/Thüringen, aus Franken, Süd­deutsch­land oder Augs­burg (Tipp­mann 1980, S. 3). Diese Ver­mu­tun­gen stützen sich auf Über­ein­stim­mun­gen mit zeit­ge­nös­si­schen Werken in den genann­ten Regio­nen. Alter­na­tiv wurde ange­nom­men, dass der Bild­schnit­zer die jewei­li­gen Ein­drü­cke in seiner Gesel­len­zeit auf Wan­der­schaft in Süd­deutsch­land sam­melte, beson­ders im Gebiet Oberrhein-Schwaben-Ulm (Vgl. Hent­schel 1938, S. 27 f; Schlag 1938, S. 7–9 und Thiel 2001, S. 5). Es kann mit Sicher­heit nur gesagt werden, dass der Meister im Raum Freiberg/oberes Erz­ge­birge zeit­weise tätig war (Thiel 2001, S. 5).
Auf­grund der Detail­f­ein­hei­ten mancher der ihm zuge­schrie­be­nen Werke wurde ver­mu­tet, dass der Meister auch als Gold­schmied oder Stecher arbei­tete (Schlag 1938, S. 7 f).
Die über­durch­schnitt­lich qua­li­tät­vol­len Werke des Meis­ters des Geyerer Altares unter­schei­den sich nach Ein­schät­zung W. Hent­schels (1938) vor allem durch ihre tiefe, räum­li­che Gestal­tung, die starken Run­dun­gen der Figuren und ihre detail­rei­che Aus­ar­bei­tung von den zeit­ge­nös­si­schen Werken in säch­si­schen Dorf­kir­che. Die Haare der Figuren wurden dick und draht­ar­tig aus­ge­ar­bei­tet. Ihr Aus­druck cha­rak­te­ri­siert unter­schied­li­che Per­sön­lich­kei­ten. Nach Hent­schel brachte der Meister die Ver­wen­dung der großen Form nach Sachsen, d.h. er über­wand in seinem Schaf­fen die klein­li­che Viel­tei­lig­keit und die starre Form des Figu­ren­blocks. Er lockerte in seinen Reliefs die Figu­ren­kon­stel­la­tio­nen auf, erreichte ein beweg­tes Glie­der­spiel und ließ auch Gewän­dern einen grö­ße­ren ’Spiel­raum’, indem er mit Brüchen/Falten und Zipfeln eine deko­ra­tive Seite der Gewand­dar­stel­lun­gen ein­räumte. Diese Betrach­tungs­wei­sen und Metho­den waren im zeit­ge­nös­si­schen Sachsen wei­test­ge­hend neu und wurde wahr­schein­lich aus Süd­deutsch­land durch viel­leicht eben diesen Meister in die Region um Frei­berg gebracht. Hent­schel (1938, S .269) sieht den Meister dem­entspre­chend in einer Mitt­ler­rolle und als Weg­be­rei­ter zwi­schen dem eigent­lich noch spät­go­ti­schen Werk der Pas­si­ons­re­li­efs und der in neue Rich­tun­gen wei­sen­den Mut­ter­got­tes­gruppe des Geyerer Altares. In seinen Reliefs des Nikolaus-Altars von Frei­berg ging der Meister nicht nach der typi­schen Auf­rei­hung der Holz­fi­gu­ren vor, sondern gab den dort dar­ge­stell­ten Szenen mittels eines freien Glie­der­spiels und einer cha­rak­ter­schaf­fen­den Detail­liert­heit für die Gesich­ter und Gewän­der der Figuren eine bewegte Dynamik, die den bis­he­ri­gen Schnitz­wer­ken in Sachsen fehlten (Thiel 2001, S. 6–8).
Die dem Meister zuge­schrie­be­nen Werke können demnach als teil­weise stil­bil­dend und ein­lei­tend für den um 1500 begon­ne­nen Umschwung in der Bild­schnitz­kunst Sach­sens ange­se­hen werden.

Werke

BLANKENSTEIN

  • Hei­li­ger Diakon aus Blan­ken­stein bei Wils­druff, um 1490 (1945 ver­brannt) (Zuschrei­bung)

GEYER

  • Nikolaus-Altar der Niko­lai­kir­che zu Geyer, um 1490/95 (Zuschrei­bung) – Erhal­ten sind die Mit­tel­schrein­fi­gu­ren der thro­nen­den Maria mit Kind und Sockel von drei Halbfiguren/Prophetenbüsten geschmückt (Meißen, Albrechts­burg) und die Figur des Hl. Niko­laus in den Staat­li­chen Kunst­samm­lun­gen Dresden. 1945 ver­brann­ten in Dresden die Figur des Hl. Erasmus, ein flie­gen­der Engel (viel­leicht ein Kronen- und Glo­ri­en­trä­ger aus dem Mit­tel­schrein) und die Deesis-Gruppe, bestehend aus Maria, Johan­nes der Täufer und Chris­tus als Weltenrichter.

GROß­SCHIRMA

  • Auferstandener/Christusfigur aus Groß­schirma, um 1490 (heute im Stadt- und Berg­bau­mu­seum Frei­berg) (Zuschrei­bung)

FREIBERG

  • 4 Reliefs aus den Flügeln eines Pas­si­ons­al­ta­res aus der Niko­lai­kir­che in Frei­berg (Chris­tus am Ölberg, Verspottung/Geißelung Christi, Gei­ße­lung Christi, Kreuz­tra­gung Christi), um 1485/90 (nun im Frei­ber­ger Stadt- und Berg­bau­mu­seum) (Zuschrei­bung)
Bibliographie

Hent­schel 1938 | Walter Hent­schel: Der Altar von Geyer und sein Meister, in: Mit­tei­lun­gen des Lan­des­ver­eins Säch­si­scher Hei­mat­schutz, Bd. 27, Heft 9/12, Dresden 1938, S. 251–269.

Hent­schel 1926 | Walter Hent­schel: Säch­si­sche Plastik um 1500, Dresden 1926, S.11, 13f, 31 u. 37.

Kammel 1999 | Frank Mat­thias Kammel: Ein unbe­kann­tes Ves­per­bild von Philipp Koch. Zur Bezie­hung des Frei­ber­ger Bild­schnit­zers zu Peter Breuer, in: Säch­si­sche Hei­mat­blät­ter. Zeit­schrift für säch­si­sche Geschichte, Lan­des­kunde, Natur und Umwelt, Nr. 6, Chem­nitz 1999, S. 354–358. [online verfügbar]

Mae­de­bach 1955 | Heino Mae­de­bach: Katalog der Plas­tik­samm­lung, Stadt- und Berg­bau­mu­seum Frei­berg. Teil 1, Bild­werke in Holz, Frei­berg 1955.

Sandner 1993 | Ingo Sandner: Spät­go­ti­sche Tafel­ma­le­rei in Sachsen, Dresden 1993, S. 102 u. 104.

Schlag 1938 | Gott­fried Schlag: Frei­ber­ger Holz­plas­tik um 1500, Diss. Berlin, Güters­loh (Westf.) 1938, S. 7–9.

Thiel 2001 | Ulrich Thiel: Der Meister des Altars von Geyer und seine Pas­si­ons­re­li­efs für die Niko­lai­kir­che Frei­berg, in: Mit­tei­lun­gen des Frei­ber­ger Alter­tums­ver­eins MFA, Heft 87, Frei­berg 2001, S. 5–12.

Tipp­mann 1980 | Rainer Tipp­mann: For­schun­gen zum ‘Meister des Altares von Geyer’ /1&2, Frei­berg 1980.

Waet­zoldt 1930 | Wilhelm Waet­zoldt: Reper­to­rium für Kunst­wis­sen­schaft. Band 51, Leipzig 1930, S. 169. 

Autor: Anna-Marie Zierenberg (2021)


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