Skulptur in MitteldeutschlandSpätgotik bis Frühbarock
Ab circa 1520 fanden im deutschsprachigen Raum verstärkt Schmuckformen der Renaissance in einer eigenen, von oberitalienischen Vorbildern abgeleiteten Formensprache Aufnahme, zuerst in den großen süddeutschen Handelsstädten Nürnberg und Augsburg sowie an einigen bedeutenden Fürstenhöfen. Es entstand in diesen Jahren der Typus des architektonischen Epitaphs, der die figürliche Plastik in einen fassadenähnlichen tektonisch-ornamentalen Rahmen einordnet. Charakteristische Schmuckelemente der deutschen Frührenaissance sind Balustersäulen, häufig aus mehreren Untergliedern zusammengesetzt, blockartige Phantasiekapitelle mit kleinen Voluten an den Ecken und V‑förmig eingeschnittener Deckplatte, schmuckloses, zum Teil über den Pilastern stark verkröpftes Gebälk, Rundgiebel, häufig mit Palmettenfächerfüllungen und Kugelaufsätzen, kräftige, zumeist flächige aus dem Stein ausgesparte Kandelaber- und Pflanzenornamentik vor den Pilasterschäften, den Zwickeln und den durch erhabene Ränder abgesetzten Gewänden. Als Zwickelfüllungen, selten auch als Aufsätze dienen Rundmedaillons mit Profilbüsten im Relief. Die Inschriften bestehen häufig aus großen Kapitallettern in erhabenem Relief.
Nicht zuletzt bedingt durch den Wegfall kirchlicher Aufträge infolge der Reformation trat die Bildhauerei in diesen Jahren in eine tiefe Krise ein. Die erstarkenden Fürstenhöfe und der von diesen abhängige Adel entwickelten sich nun zu den wichtigsten Auftraggebern der Bildhauer. Baugebundene Steinplastik und Grabmäler wurden neben der Kleinplastik Hauptgattungen der Skulptur.
Obersachsen
In Obersachsen waren die großen Baustellen der erzgebirgischen Bergbaustädte wichtige Ausgangspunkte für die Einführung der Renaissanceschmuckformen. Der 1522 aufgestellte, steinerne ►Hauptalter der neuen Stadtkirche St. Annen in Annaberg aus der Werkstatt des Augsburger Bildhauers Adolf Daucher († um 1523/24) ist im deutschsprachigen Raum eines der frühsten Altarretabel im tektonischen Stil der Renaissance. Elemente der Frührenaissance weist auch der ►Altar der Münzerknappschaft (1522) auf, dessen figürliche Schnitzereien dem Bildhauer Christoph (I) Walther (†1546) zugeschrieben werden. Nach Abschluss dieser Arbeiten übersiedelte er spätestens 1524 nach Meißen. Hier hat sich im Dom mit dem ►Epitaph des Dechanten Johannes Henning (†1526) eines der ersten Denkmäler mit Renaissancerahmen in Sachsen erhalten. 1536 siedelte Christoph (I) Walther nach Dresden über, wo er zum Begründer der dort bis weit ins 17. Jahrhundert führenden Bildhauerdynastie der Familie Walther wurde. Für den ab 1530 im Stil der Renaissance zwischen Schloss und Elbbrücke errichteten Georgenbau schuf seine Werkstatt den mehr als 12 m langen ►Relieffries des sogenannten Dresdner Totentanzes, heute in der Dresdner Dreikönigskirche. Ein anderer Hauptmeister der Frührenaissanceplastik in Obersachsen ist der aus Ehrenfriedersdorf stammende Steinmetz und Baumeister Paul Speck (†1557): Das ►Renaissanceportal am Obermarkt 17 in Freiberg von circa 1530 trägt sein Meisterzeichen (vor Ort Kopie, Teile des Originals im Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg). 1534 siedelte Speck von Freiberg nach Zwickau über und war dann von 1543 bis zu seinem Tod 1557 als leitender Baumeister in Leipzig tätig. Bildhauerarbeiten seiner Werkstatt finden sich unter anderem in Freiberg, Zwickau, Leipzig, Chemnitz, Pegau, Eilenburg und Torgau. Ein prominentes Beispiel für die Grabmäler dieser Werkstatt ist das ►Epitaph des Rektors der Leipziger Universität Dr. Caspar Borner (†1557) im Leipziger Paulinum. Im Dom von Freiberg hat sich mit dem kleinen, 1519 datierten ►Stifterepitaph des Domherren Simon Steinhart die in Mitteldeutschland vielleicht älteste Bildhauerarbeit im tektonischen Stil der Frührenaissance erhalten. Am Hof der in Freiberg residierenden wettinischen Nebenlinie war um 1528/29 der Würzburger Bildschnitzer Peter Dell (†1552) für Herzog Heinrich den Frommen tätig und schuf für diesen die ►Reliefs der Kreuzigung (1528) und der Auferstehung Christi (1529, beide im Dresdner Grünen Gewölbe). Mit Dells ►Relief-Darstellungen Gesetz und Gnade (um 1529/30, Grünes Gewölbe in Dresden) und der ►Allegorie auf den Alten und Neuen Bund (um 1540, Schloss-Museum Gotha) befinden sich weitere Arbeiten dieses wichtigen Meisters in mitteldeutschen Sammlungen. Peter Beseler (1498–1579) erwarb 1524 das Freiberger Bürgerrecht und leitete hier bis zu seinem Tod eine Bildhauerwerkstatt, die von seinen Nachkommen bis ins frühe 17. Jahrhundert fortgeführt wurde. Da er kein gelernter Steinmetz war, geriet er in Konflikt mit der Zunft. Abgesehen von einer verlorenen, vielleicht von seinem Sohn Peter d. J. ausgeführten Sandsteinkanzel in der Katharinenkirche Borna konnte bislang keine seiner Arbeiten identifiziert werden. Gregor (I) Richter aus Chemnitz gilt als Meister einiger kraftvoll-derber Bildhauerarbeiten in Chemnitz und Umland, so eines ►Tympanonfragments im Chemnitzer Schlossbergmuseum (um 1540) oder des ►Taufsteins der Stadtkirche St. Marien in Mittweida (1553).
Halle
Auch in Halle hielten Formen der Frührenaissance schon in den 1520er Jahren Einzug. In seiner Lieblingsresidenz ließ Kardinalerzbischof Albrecht von Brandenburg damals den heute sogenannten Halleschen Dom in venezianischen Renaissanceformen umgestalten. Neben den künstlerisch hochrangigen spätgotischen ►Pfeilerfiguren, wohl aus der Mainzer Werkstatt des Peter Schro schuf für diese Stiftskirche mutmaßlich Ulrich Creutz die ►Kanzel mit Frührenaissancedekor. Creutz wurde offenbar Bürger in Halle. Er signierte das steinerne ►Retabel des Kunigundenaltars (1517) und das ►Epitaph des Bischofs Günther von Bünau (1518) im Dom von Merseburg, wo sich weitere Bischofsgrabmäler der Frührenaissance erhalten haben. Ein anderer wichtiger Meister der Halleschen Frührenaissance ist Hans Schlegel, vielleicht identisch mit dem Steinmetz Hans, der 1522 das Bürgerrecht in Halle erwarb. Als sein spätes Hauptwerk gilt die 1541 datierte ►Tumba das Grafen Hoyer von Mansfeld (†1546) in der Andreaskirche in Eisleben. In Anhalt entstanden unter Leitung der zuvor in Halle tätigen Steinmetzarchitekten Andreas Günther und Ludwig Binder in den Residenzen Bernburg (1538/39) und Dessau (1530/33) bedeutende Schlösser der Frührenaissance mit qualitätvollem Bauschmuck, darunter für den Wolfgang-Bau des Bernburger Schlosses ►Bildnisreliefs von Kaiser und Fürsten (Originale im Schlossmuseum) sowie ein ►Relief mit dem Selbstbildnis des Architekten Andreas Günther (1539).
Die Stiftshauptstadt Magdeburg verfügte trotz ihrer Größe und Bedeutung nach heutigem Kenntnisstand in diesen Jahrzehnten über keine bedeutende Bildhauerwerkstatt. Wenig bekannt ist auch über Skulpturen der Frührenaissance in der Altmark. In Calbe an der mittleren Elbe schuf Urban Hachenberg aus Aderstedt noch 1560 eine ►gotische Maßwerkkanzel über einem Bergmann als Kanzelträger. Zwischen Nordharz und Magdeburger Börde verteilt sich eine stilistisch einheitlich wirkende Gruppe kleinerer Figurengrabmäler, einige mit dekorativen Elementen der Frührenaissance, unter anderem in ►Halberstadt (Martinikirche, 1550), ►Wernigerode (St. Sylvestri, 1551) und ►Drübeck (1555), welche zum Teil für den Steinmetz Christoph von Halberstadt gesichert sind, wohl einem Schüler oder Nachahmer des Braunschweiger Bildhauers Jürgen Spinnrad († nach 1568), dem Meister des ►Epitaphs für Ludolph von Rössing in der Stephanikirche in Osterwieck (1556).
Torgau und Wittenberg
In den 1530er Jahren wurde der Schlossbau in Torgau für die sächsischen Kurfürsten der wichtigste Kreuzungspunkt für die weitere Entwicklung der Skulptur in Mitteldeutschland. Neben den Steinmetzarchitekten Nickel Gromann und Nickel Hoffmann waren hier um 1540 als Bildhauer tätig: Georg Diener, Ulrich Creutz, Meister Stephan (wohl Steffan Hermsdorf aus Leipzig), Meister Andreas von Freiberg sowie der einheimische Simon Schröter d. Ä. (†1568). Schröter schuf mit der von Martin Luther 1544 persönlich geweihten ►Rundkanzel der Torgauer Schlosskapelle ein Hauptwerk der deutschen Renaissanceskulptur und begründete die einflussreiche Torgauer Bildhauerschule. Eine Arbeit Schröters ist auch das rundbogige ►Portal der Schlosskapelle, dessen Gewände Kinderengel mit den Leidenswerkzeugen Christi zwischen Ast- und Rankenwerk schmücken. Der ►„Schöne Erker“ des Kapellenflügels, dessen Dekor um 1544 federführend von Steffan Hermsdorf geschaffen wurde, vereint Reliefdarstellungen nackter Krieger, Reiterszenen und Tugenddarstellungen mit Grotesken und anderem Renaissance-Ornament.
Nach der Vertreibung der Wettiner ernestinischer Linie aus ihren Hauptresidenzen in Wittenberg und Torgau in Folge des Schmalkaldischen Krieges von 1546/47 holten sie für den Ausbau ihrer verbliebenen Residenzen zahlreiche Bauleute und Künstler nach Thüringen. Der zuerst 1537 im ostthüringischen Weida nachweisbare Architekt der Torgauer Schlosskapelle Nickel Gromann (†1566) ließ sich als Landesbaumeister in Weimar nieder und betrieb hier auch eine Bildhauerwerkstatt. Zur Ausschmückung der Festung Grimmenstein in Gotha berief Kurfürst Johann Friedrich I. wiederum Simon Schröter aus Torgau. In Gotha wie auch am Ort der neuen ernestinischen Landesuniversität in Jena war der zuerst 1537 in Freiberg nachweisbare Bildhauer Hermann Werner tätig, der 1557 das große ►Landeswappen am Turm der Jenaer Kollegienkirche und anschließend die Bildhauerarbeiten für den ►Rathausneubau in Altenburg (1561–64) lieferte.
Thüringen
Zu den ältesten erhaltenen Bildhauerarbeiten der Frührenaissance in Thüringen zählen Renaissanceportale in ►Bad Frankenhausen (1534) und ►Weida (Osterburg, 1536) sowie ►Kanzelfragmente in der Stadtkirche von Heldburg (um 1536) mit dem Monogramm BF des Bildhauers Bernhard Friedrich. Der zwischen circa 1525 und 1553 überwiegend in Franken tätige Meister fertigte auch den ►Doppelgrabstein für die Gräfinnen Elisabeth und Anna von Henneberg (†1507 und 1542) in Römhild bei Meiningen und das ►Familienepitaph von Hessberg in Hessberg bei Hildburghausen (1543). Das in Thüringen vielleicht älteste erhaltene Epitaph in der Formensprache der Frührenaissance entstand für ►Adam Graf von Beichlingen (†1538) und befindet sich in der Kirche im westthüringischen Tiefenort. Hochwertige Figurengrabmäler im Stil der deutschen Frührenaissance sind in Thüringen heute insgesamt selten und zumeist späterer Datierung, so in ►Mülverstedt (von Hopfgarten, 1554) und ►Gebesee (von Beichlingen, 1553), beide möglicherweise Werke des Braunschweigers Jürgen Spinnrad. Der damals beste Meister der Unstrutregion im südlichen Sachsen-Anhalt scheint ein Anonymus gewesen zu sein, der als Steinmetz am ►Schloss Wendelstein (um 1541) tätig war und später Grabdenkmäler in den Kirchen von ►Wohlmirstedt (1557), ►Ostrau bei Zeitz (1564) und auf dem Domfriedhof in Naumburg (für Valentin Busch, †1566) schuf.
Das wichtigste Zentrum der Plastik in Thüringen blieb auch in diesem Zeitraum Erfurt. So wurde die ►Bronzegrabplatte Martin Luthers in der Stadtkirche von Jena 1548 mit einer Gussform des Monogrammisten AB von dem Erfurter Gießer Heinrich Ziegeler d. J. ausgeführt. Die Gussformen der ►Grabplatten des Kurfürstenpaares Johann Friedrich und Magdalene Sybille in der Stadtkirche von Weimar lieferte 1554 ein Bildschnitzer namens Herman (wohl identisch mit dem Erfurter Hermann Kirchner). Die Erfurter Steinmetzen Georg und Valentin Kirchhof leiteten um 1556 den ►Bau des Schlosses Ohrdruf mit seinem hochwertigen Bauschmuck. Reichen Bauschmuck weist auch der ►Erker des bis 1547 erbauten Schlosses in Behringen auf.
zurück zu: Spätgotik (circa 1470/80–1520/30)
weiter mit: Floris-Renaissance (circa 1550–1610)
Warning: Attempt to read property "term_id" on bool in /var/www/html/minerva.kunstgesch.uni-halle.de/wp-content/plugins/responsive-menu/v4.0.0/inc/classes/class-rmp-menu.php on line 441